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Die Ausweisung der Armenier aus Bistritz anlässlich der Pest im Jahre 1712 und die Gründung von Hayakaghak

In Europa war die Pest bis ins 19. Jahrhundert ein ständiger Begleiter. Auch Bistritz (rum. Bistrița und ung. Beszterce) im Nösnerland wurde seit seiner Gründung im 12. Jahrhundert mehrmals vom „Schwarzen Tod“ heimgesucht. Von besonderer Bedeutung für die armenische Bevölkerung in Nordsiebenbürgen war die Epidemie von 1712. Denn die von den Bistritzer Sachsen eingeleiteten Schutzmaßnahmen trugen maßgeblich zur Entwicklung von Hayakaghak (rum. Gherla) als wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der Armenier bei.

Diese hatten sich bereits ab dem 14. Jahrhundert in Siebenbürgen niedergelassen, doch erst mit dem Beginn des Osmanisch-Polnischen Krieges in Bessarabien fand ab 1672 eine bedeutende Einwanderung statt. Diese wurde von Fürst Michael I. Apafi unterstützt, der den Neuankömmlingen gewisse Privilegien und Handelskonzessionen gewährte. Neben den Dörfern um das spätere Hayakaghak siedelten die Armenier zunächst in Elisabethstadt/Dumbrăveni, dem Fürstensitz von Michael I. Apafi, in Gyergyó-Szent-Miklós (rum. Gheorgheni), Görgény-Szent-Imre (rum. Gurghiu), Szépvíza (rum. Frumoasa) sowie auch Birk (Petelea) und eben Bistritz, welches unter dem armenisch-katholischen Bischof Oxendius Verzereskul (1655-1715) das religiöse Zentrum der Armenier wurde.

Die Ausweisung der Armenier aus Bistritz

„Den 9. und 10. September des Jahres 1712 kommen in dem Hause eines Armeniers namens Kriszta in der Holzgasse zwei verdächtige Todesfälle vor. Sofort taucht die Vermutung auf, dass dies Pestfälle seien. Bald darauf erkranken und sterben in derselben Holzgasse zwei Kinder wieder in einer armenischen Familie, welche mit der des Kristza in Verkehr gestanden war. Dass es wirklich die Pest sei, wird nun nicht mehr bezweifelt. Die beiden erkrankten Familien werden außerhalb der Stadt im Lazarett separiert, wo Kriszta selbst binnen kurzer Zeit stirbt. Auch in elf anderen armenischen Familien ereignen sich Todesfälle, während die sächsische Bürgerschaft noch intakt bleibt“, schreibt der Gymnasialprofessor Martin Bartelmäss in „Programm des evangelischen Obergymnasiums A.B. und damit verbundenen Lehranstalten, dann der evangelischen Mädchenschule A.B. zu Bistritz“ für das Schuljahr 1896/97.

Der sächsische Stadtrichter Johannes Klein handelte sofort und rigoros: Innerhalb von nur 24 Stunden mussten mehr als 200 Armenier ihre Häuser in der Holzgasse verlassen. Damit wurde die gesamte Gemeinschaft aus Bistritz verwiesen. Der armenisch-katholische Bischof Oxendius Verzereskul verglich die Vertreibung seines Volkes mit dem Auszug der Juden aus Ägypten und warf den sächsischen Behörden vor, sich am armenischen Besitz bereichert zu haben. Denn den Armeniern blieb keine Zeit, ihren Besitz zu verkaufen und offene Forderungen von den Sachsen einzutreiben. Nach einer Klage des Bischofs in Wien rechtfertigt sich Johannes Klein gegen die Anschuldigungen: „Nicht die Armenier hätten zu leiden gehabt, wohl aber die Stadt Bistritz von den Armeniern. Im Jahre 1698 sei die Stadt durch ein grosses Feuer, welches in einem armenischen Hause wieder in der Holzgasse seinen Anfang genommen, gänzlich eingeäschert worden, ohne dass dieses auf die guten Beziehungen der sächsischen und armenischen Nation eingewirkt hätte“, schreibt Martin Bartelmäss. „Die Stadt und der Magistrat seien nur dem Zwange der eisernen Notwendigkeit gefolgt, um die Bürgerschaft, insbesondere aber die Miliz, vor der Ansteckung zu schützen. Nicht 24 Stunden, sondern einige Tage seien den Armeniern für den Auszug bewilligt worden und schon seien mehr als achtzig Personen an der Pest gestorben.“

Das kollektive Gedächtnis der Armenier in Siebenbürgen

Einen einflussreichen Aufsatz für die armenische Geschichtsschreibung in Rumänien veröffentlichte Teodor Ghițan im Jahr 1972 in dem Magazin „Revista Muzeului de istorie din Bistrița“. Der Lehrbeauftragte für Medizingeschichte in Klausenburg vertritt in „Die Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus Bistritz anlässlich der Pestepidemie von 1712“ die Auffassung, dass die sächsischen Beamten die Epidemie lediglich als Vorwand genutzt hätten, um sich der armenischen Bevölkerung zu entledigen. „Die armenischen und die sächsischen Händler konkurrierten in Bistritz mehrere Jahrzehnte lang um den Binnenmarkt der Stadt sowie den des mittelalterlichen Siebenbürgens. Die besonderen Interessen der Bistritzer Zünfte, angeführt vom Stadtrichter, der ihre Interessen vertrat, waren die treibende Kraft, die zur Entfesselung des sozialen Konflikts führte.“ Ghițan konstatiert schließlich: „Die Bistritzer Händler behielten die politische und administrative Macht der Stadt in ihren Händen, dabei nutzten sie eine für sie günstige Situation und schafften es mit Unterstützung der Armee, die Armenier für immer aus Bistritz zu vertreiben.“

Erschienen ist der Beitrag von Ghițan auch 1994 in „ANI. Anuar de cultură armeană“, welches von den Redakteuren des Magazins „Ararat“ publiziert wird. Das wiederum wird von der Union der Armenier in Rumänien herausgegeben und kann dementsprechend als wirkungsreich für das kollektive Gedächtnis der Armenier in Siebenbürgen und Rumänien angesehen werden – unabhängig davon, ob die Darstellung und Interpretation der Sachsen oder Armenier eher der historischen Wahrheit entsprechen. Für das kollektive Gedächtnis ist die historische Wahrheit ohnehin nicht von besonderer Bedeutung. Denn es stützt sich auf Erzählungen, die wie Mythen und Legenden eine narrative Struktur mit klarer Aussage haben.

Zur „Ehrenrettung des Stadtrichters Johann Klein v. Straussenburg“ erklärten mehrere im nahen Mettersdorf stationierte österreichische Militärs einige Wochen später gegenüber dem in Siebenbürgen kommandierenden General Stephan Grafen von Steinville, dass der Abzug der Armenier von 48 Stunden auf mehrere Tage aufgeschoben wurde und diese auch kein Vorspann von Johannes Klein zu einem überzogenen Preis nutzen mussten. Denn Verzereskul hatte in seiner Beschwerde an Wien dem Stadtrichter vorgeworfen, beim Abzug der Armenier selbst noch ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Auch erklärten die Militärs, dass die Ausweisung nicht aus religiösem Hass stattgefunden habe. So schreibt es zumindest Martin Bartelmäss. Ghițan sieht die „Ehrenrettung“ allerdings nicht als korrekte Wiedergabe der Ereignisse an. Er stellt die rhetorische Frage: Warum konnte die armenische Bevölkerung nach dem Ende der Epidemie nicht in ihre Häuser zurückkehren.

Deutlich härter mit den Bistritzer Sachsen geht Kristóf Szongott ins Gericht, der in Hayakaghak als Lehrer tätig war und die Geschichte der Armenier in Ungarn erforschte. Er veröffentlichte 1898 eine Chronik der Stadt Szamosújvár, wie Hayakaghak von den Ungarn genannt wird. 2014 wurde die Chronik von „Ararat“ aus dem Ungarischen ins Rumänische übertragen und stellt damit ebenfalls ein zentrales Werk für das kollektive Gedächtnis der Armenier dar. Szongott schreibt: „Die Sachsen waren an dem armenischen Vermögen krank geworden und nachdem sie dieses in Besitz genommen hatten (Häuser, Möbel, Getreide) waren sie geheilt.“

In unterschiedlichen Gemeinschaften werden Ereignisse verschieden betrachtet und überliefert. Die Erinnerungskultur der einen Nation nimmt dabei die anders gewählten historischen Bezugspunkte einer anderen Nation nicht wahr. Die Ausweisung der Armenier war für die sächsische Geschichtsschreibung in der Folge nicht weiter relevant und findet dementsprechend lediglich in den Chroniken der Stadt Bistritz ihre Erwähnung. Für die Entwicklung der armenischen Gemeinschaft in Siebenbürgen ist es allerdings ein historisches Ereignis, welches zur Entwicklung von Hayakaghak zum kulturellen Zentrum der Armenier beigetragen hat. Diese hatten erst zwölf Jahre zuvor von Kaiser Leopold I. die Erlaubnis erhalten, die Stadt zu gründen. Das erste Gebäude hatte Verzereskul selbst errichten lassen, dessen zweites politische Ziel die Gründung einer armenischen Stadt in Siebenbürgen war. Zuvor war es dem in der Moldau geborenen Geistlichen, der in Rom seine Ausbildung erhalten hatte, bereits gelungen, die Armenier zur Anerkennung der kirchlichen Obrigkeit des Vatikans zu bewegen.

Zu viel Wissen stört die Identitätsbildung

Die Ausweisung der Armenier aus Bistritz fand in einem historischen Kontext aus sich überlagernden Strukturen, Prozessen und Ereignissen statt. Das Wissen um diese Komplexität soll Handlungen nicht nachträglich legitimieren, sondern verständlich machen. Dabei gilt es, eine Interpretation nach aktuell vorherrschenden Maßstäben und Überzeugungen zu vermeiden. Zur Konstruktion eines kollektiven Gedächtnisses ist hingegen das genaue Gegenteil notwendig. Denn zu viel Wissen stört die Identitätsbildung.

Zum Begriff des „kollektiven Gedächtnisses“ ist zu beachten, dass Ethnien und Nationen kein kollektives Gedächtnis besitzen, sondern sich dieses durch Schriften, Denkmäler, Jahrestage, Lieder oder dem Gedenken von Heiligen schaffen. Folglich verbindet das kollektive Gedächtnis vergangene Ereignisse mit den Werten, Erzählungen und Vorurteilen, die für die Ethnie oder Nation spezifisch sind. Und es wandelt sich immer wieder. Denn bisweilen findet innerhalb einer Ethnie oder Nation eine Neubewertung von Erinnerungen statt.

In genau diesem Punkt unterscheiden sich dann auch die Texte von Teodor Ghițan und Kristóf Szongott. Letzterer untermalt seine Darstellung der Ausweisung zusätzlich mit einer Liebesgeschichte zwischen einem sächsischen Jungen und einem armenischen Mädchen sowie einem physischen Angriff der Sachsen auf die armenische Gemeinschaft, welche ihm laut eigener Aussage von einem Nachfahren eines der Vertriebenen zugetragen wurde. „Die Sachsen beneideten die Armenier um ihr Vermögen und beschlossen daher, sie anzugreifen und entweder zu töten oder zu vertreiben.“ Eine ideale Erzählung, um die eigene Identität als erfolgreiche Handelsleute, die von verlogenen Sachsen vertrieben wurden, zu konstruieren.

Der Historiker Ghițan nimmt eine umfassende und unvoreingenommene Darstellung der vergangenen Ereignisse vor. Er betrachtet sowohl die sächsische als auch die armenische Perspektive, und liefert schließlich eine dekonstruktivistische Position. Dabei stellt er die beiden Konfliktlinien Religion (katholische Armenier/ Gegenreformation der Habsburger – protestantische Sachsen) und Macht (Handelsinteressen) heraus: „Wenn wir diese brutale Episode der gewaltsamen Vertreibung der Armenier aus Bistritz im Licht des historischen Materialismus analysieren, stellen wir fest, dass neben dem religiösen Argument das Argument des materiellen Interesses der Zünfte, also ökonomische Interessen die Hauptursache für die Vertreibung waren. Der außergewöhnliche hygienische Grund, der als wesentliches Argument der Rechtfertigung für den unmenschlichen Akt der Vertreibung angeführt wurde, war nur eine Maske für das wahre Motiv, die Furcht der sächsischen Zünfte vor ernster Konkurrenz auf dem Handelsmarkt durch die Armenier.“

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